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Konzert vom 23.09.2023

Hörer zum Zuhören zwingen

Münster - Thorsten Schmid-Kapfenburg und die Alte Philharmonie Münster im Konzertsaal der Waldorfschule – das sind Abenteuer für Expeditionen durchs wilde Klassik-Kurdistan.

Wir schreiben das Jahr 1985. Anton Bruckner, ein Ordnungsfanatiker mit Hang zur Zwangsneurose, ordnet seinen Nachlass. Dabei fällt seine Sinfonie in d-Moll gnadenlos durch: Eine große durchgestrichene Null auf der ersten Seite des Autographs verbannt das Werk aus dem gewünschten Fächerkanon des sensiblen Zweiflers.

Die Nachwelt widersprach Bruckner in diesem Punkt, und das mit Recht, wie die Alte Philharmonie Münster am vergangenen Sonntag in der Aula der Waldorfschule in Gievenbeck beweisen konnte. Zunächst stand zu Beginn des Konzerts jedoch Beethovens Ouvertüre zur Oper "Fidelio" auf dem Programm. Farbenfroh, mit befreiender Energie und spannungsreich wurde da musiziert. Was folgte, war vielleicht das eigentliche Highlight des Abends: Dirigent Thorsten Schmidt-Kapfenburg präsentierte mit dem Orchester seine "11 Charakterstücke" in einer Uraufführung. Mit einer "ereignisreichen Instrumentation" wolle der Komponist, wie er im Programmheft schrieb, die "Hörer zum zuhöhren zwingen". Das gelang, wenn man das wörtlich nimmt, mal so gar nicht! Viel mehr ganz freiwillig und ohne Nötigung verliebte man sich direkt in die kurzen Stücke, welche aus Klavierwerken des Komponisten entstanden waren. Die Tonsprache Schmidt-Kapfenburgs, die seh- und hörbare Spielfreude der Musiker und die raffinierten Spannungsbögen in den einzelnen Skizzen, wie in ihrer Gesamtheit, machten beim Hören richtig Freude.

Mit Bruckners besagter Sinfonie konnte das Orchester dann beweisen, dass es neben der Wiender Klassik und der zeitgenössischen Musik auch in der Interpretation der großen Romantik durchaus glänzen kann. Satter Streichersound, strahlendes Blech und lyrische Töne im Holz widerlegten überzeugend die Einstellung des Komponisten zu diesem Werk, in welchem doch viel von dem angelegt ist, was seine großen Sinfonien am Ende ausmachen wird.

Das Publikum dankte den Musikerinnen und Musikern der Alten Philharmonie mit viel Applaus. Gar nicht genug hätte man nach solch gelungenem Abend Dirigent und Komponist Schmid-Kapfenburg applaudieren können.

Auf die nächsten Projekte der Alten Philharmonie darf man also gespannt sein. Gerne mit weiteren Uraufführungen!

Westfälische Nachrichten vom 27.09.2023
Marco Schomacher

Konzert vom 26.03.2023

Durchs wilde Klassik-Kurdistan

Münster - Thorsten Schmid-Kapfenburg und die Alte Philharmonie Münster im Konzertsaal der Waldorfschule – das sind Abenteuer für Expeditionen durchs wilde Klassik-Kurdistan.

Gustav Mahlers aussortierter „Blumine“-Satz war eines „Titanen-Porträts“ für zu blumig befunden worden – und wurde vom Orchester rührend ausgespielt – inklusive des Ewigkeitszaubers eines Harfentons. In Ralph Vaughan Williams „Songs of Travel“ stapfen Bass-Ostinati über einsame Landwege, beschwören Flötenterzen vage Schönheit, riskiert der Triangel einen Wimpernschlag und ist das Pathos der Liebe nicht weit. Gregor Dalal umwarb englische Melancholie mit heldischer Verve und gestischer Suggestivität: Diesem Weltenwanderer der Seele waren Weisheit, Witz und Dämonie vom Gesicht anzulesen. Das „Home was home… full of kindly faces“ artikulierte Dalal mit der Zielsicherheit absoluter Gewissheit, glitt durch heikle Tonart-Rückungen in „Bright is the ring of words“ und schwebte im arkadischen „I have trod“ anmutig über segelnde Orchesterakkorde.

Wie ein Meer lag das Orchester vor dem Dirigenten: Man hätte beide für Überfülle instrumentalen Wohllauts vielleicht geschmäht. Dora Pejačevics Sinfonie fis-Moll mobilisiert Dramatik, Raserei und Lyrismus. Im Kopfsatz vagabundiert die Musik durch die Sonatenhauptsatzform, der stürmischen Exposition folgt eine stürmischere Durchführung, gleißende Blechbläser forcieren scharfe Zäsuren, durchs zweite Thema flattert Filmmusik-Flair. Die drastische Zeichengebung des Dirigenten zwischen Streicherfurioso, Hörnerschall und Beckenschlag signalisierte eine Musik unter passioniertem Hochdruck.

Pejačevics‘ Opus Magnum glich in instrumentaler Opulenz und seiner Majestät einem Bühnenbild, in dem Nähe und Ferne, Klarheit und Vision eine irritierende Atmosphäre bewirken. Das Thema des folgenden „Andante sostenuto“ floss ruhig vorüber, als wollte es sich wie unbemerkt aus der Partitur stehlen. Halsbrecherisch stürzte sich das Orchester ins gauklerhafte „Scherzo“, dessen Tempovorschrift „Allegro molto“ waghalsig ignorierend…. Hier hatte der Mann am Schlagzeug sich pausenlos nach den Becken zu strecken, um im nächsten Moment wieder ans Restinstrumentarium zu hechten: eine hintergründig artistische Leistung! Auch im Finale krachte es hemmungslos, aus anfänglichen Schemen tauchte das Hauptthema hervor wie ein Drache aus dem Nebel, Fanfaren der Trompeten flogen übers Orchester wie Wurfspeere. Dann raste das Orchester in die Stretta, dem rasenden Beifall des Publikums entgegen.

Westfälische Nachrichten vom 27.03.2023
Günter Moseler

Konzert vom 11.09.2022

„Staunenswerte Klangexplosionen“

Münster. So schnell dürfte man diesem ausgewachsenen Viersätzer wohl leider nicht wieder begegnen: dem "Concerto" für Sopransaxofon und Orchester aus der Feder des Komponisten Chris Walden. Weshalb? Weil man erstens über ein hellwaches Orchester verfügen muss und zweitens - noch viel wichtiger - über einen exquisiten Solisten. Beides kam am Sonntag im Konzertsaal der Waldorfschule auf das Glücklichste zusammen. Saxofonist Wolfgang Bleibel und die "Alte Philharmonie" mit Thorsten Schmid-Kapfenburg am Dirigentenpult sorgten für wahre

Klangexplosionen, über die man einfach nur staunen konnte.

Chris Walden, 1966 in Hamburg geboren und seit 1996 in Los Angeles lebend, kommt vom Jazz. und so klingt sein "Moon and Passion"-Concerto auch. Aber nicht nur. Vielmehr mixt er viele verschiedene Stile und schafft daraus ein rundes Ganzes. Wolfgang Bleibel, dieser überragende Musiker, bekommt Raum für Improvisation, für lyrische Linien, für überschäumende Bewegung, die ein Höchstmaß an Virtuosität verlangt. Zwischendurch lässt Hollywood grüßen, was kein Wunder ist, denn Chris Walden schreibt (auch) viel Filmmusik, ist darüber hinaus seit 2019 Chef-Arrangeur bei der Oscar-Verleinhung. Die "Alte Philharmonie" – sie hatte sich mit Beethovens Ouvertüre "König Stephan" trefflich eingespielt – mobilisierte ihrerseits für "Moon and Passion" eine unglaubliche Energie. Anders war dieser hochkomplexe "Brocken" aber auch gar nicht zu meistern. Da ging die Post nämlich ziemlich häufig ganz schön ab. Mittendrin Thorsten Schmid-Kapfenburg wie ein Fels in der Brandung.

Nach der Pause dann Tschaikowskys "Pathétique"! Eine weitere Herausforderung für das Orchester, durch alle Stimmgruppen hindurch. Und wieder wuchs man über sich hinaus:

markerschütterndes Blech, klangschöne Klarinetten, Oboen, Flöten und Fagotte.

Und vor allem satte, ihren breiten Klangteppich ausbreitende Streicher bis hin zum völlig vertröpfelnden Finale. Beeindruckend, ja berührend, mit welcher Leidenschaft hier musiziert wurde, ohne dass auch nur an einer einzigen Stelle Kitsch daraus geworden wäre. Diesen Spagat hat Thoresten Schmid-Kapfenburg mit seinem fabelhaften Ensemble bestens geschafft. Der Applaus wollte kein Ende nehmen.

Westfälische Nachrichten vom 14.09.2022
Chr. Schulte im Walde

Konzert vom 06.03.2022

„Was zählt, ist allein die Musik“

Münster - Ein durch und durch hanseatischer Brahms und slawischer Zauber mit der Alten Philharmonie Münster. Überraschung und anhaltender Applaus in der Aula der Freien Waldorfschule.

Man hätte sich sicher andere weltpolitische Umstände für das erste Konzert in voller Besetzung seit zweieinhalb Jahren gewünscht.

Aber die Alte Philharmonie Münster bekennt Farbe. Sie belässt es nicht dabei, die Notenständer in Gelb und Blau zu dekorieren, ein großer Teil des Erlöses aus dem Kartenverkauf wird für Nothilfe in der Ukraine gespendet.

Es mag unter diesen Vorzeichen unwillkürlich befremdlich erscheinen, dass eines der beiden Werke aus der Feder eines russischen Komponisten stammt. Noch befremdlicher wäre es allerdings, Wassili Kalinnikows erste und einzige Sinfonie, die in Kiew uraufgeführt wurde, allein aus diesem Grund nicht zu spielen. Für das Ensemble zähle nicht, woher ein Komponist komme, sondern ob die Musik, die er komponierte, etwas tauge. Wie treffend diese Aussage von Thorsten Schmid-Kapfenburg ist, zeigt sich später.

In Boris Cepedas Spiel blitzt eine gute Portion des hanseatischen Naturells des großen Johannes Brahms hervor. Fokussiert und aufgeräumt ist seine Interpretation des Klavierkonzerts in d-Moll. Vor allem der zweite Satz gedeiht durch die subtile Verflechtung mit dem Orchesterklang, die Solopassagen geraten in ihrer choralhaften Schlichtheit besonders effektvoll. Cepedas über weite Strecken reduziertes Spiel schafft Reserven, etwa für die vielen überschwänglichen Momente im finalen Rondo.

Die überraschende Entdeckung dieses Sonntagabends ist ohne Zweifel die Sinfonie, die Wassili Kalinnikow wenige Jahre vor seinem viel zu frühen Tod vollendete. Es wirkt, als hätte sich das Orchester während des Klavierkonzerts warmgelaufen für diesen Kranz aus markanten Rhythmen und eingängigen Melodien. Die plötzliche Bereitschaft, Ausbrüche bis ins Manische zu vollziehen, überrascht.

Die Musik atmet Folkore, der zweite Satz verzaubert mit seinen aus der Harfe ins Orchester wandernden Ostinati.

Das Ohr sucht unweigerlich nach Bezugsgrößen aus der russischen Musikgeschichte, gelangt aber zu dem Schluss, dass Kalinnikow seinen ganz eigenen Ton gefunden hat – trotz allem unverkennbar slawisches Kolorit. Schade, dass er nicht die Zeit hatte, der Nachwelt mehr zu schenken.

Westfälische Nachrichten vom 07.03.2022
Robin Gerke

Konzert vom 15.09.2019

Konzert jenseits alter Programme

Münster. Ein flüchtiger Blick auf Konzertprogramme lehrt: Amerika scheint Lichtjahre entfernt. Lichtjahre? Nein! Die mit unbeugsamen Musikern besetzte Alte Philharmonie unter Thorsten Schmid-Kapfenburg bot im Konzertsaal der Freien Waldorfschule ein Konzert jenseits uralter Programme - ohne auf Berühmtes zu verzichten.

Es begann mit Samuel Barbers "Adagio for Strings", schmerzliche Musik, die in den USA bis zum presidentiellen Trauer-Hymnus avancierte. Die melodischen Bögen, in denen malerische Spurenelemente wie ein Heiligenschein schimmern,

spielte das Orchester mit schwebender Intensität

, ohne dem Melodramatischen zu verfallen. Emanuel Séjournés (Raritäten-) Konzert für Marimba und Streicher schlägt schon in den Anfangstakten elegische Töne an, um von einer furiosen Solokadenz der Marimba reumütig zu ungefähr (a)tonaler Gegenwahrt bekehrt zu werden. Die junge Solistin Yung-Ju Tsai ließ zwei Hände und vier Schlegel wie Libellenflügel über die Holzklangstäbe sausen, hechtete mit federnder Körperchoreographie von den Höhen zu den Tiefen des lang gestreckten Instruments und absolvierte in winzigsten Atempausen hoch fliegende Schlegelwechsel. Sofort verwandelte sich perkussiver Elan der Marimba zu lyrischer Eleganz. Tsai demonstrierte Musik als artistische Variante zwischen Balanceakt und Jonglage, während im Orchester ein melodisch-modisches Gefälle grundiert wurde. Die als Zugabe gespielte bachsche Courante klang wie eine Geheimbotschaft unter Wasser.

Nach der Pause war die Bühne frei für die amerikansischste Musik Amerikas: George Gershwins Oper "Porgy and Bess" (als Suite arrangiert von B. Russel Bennett) und Aaron Coplands Cowboy-Ballett "Rodeo". Hier waren Jazz und Melos, dort Pferde und Folklore präsent. Das Orchester präsentierte mit sattem Strich Bennetts Gershwin-Album schönster (Arien-) Schnappschüsse und ließ derart berückend von "Summertime" schwärmen, als sei es Sommer für alle Welt, leuchtete golden auch der Honeymoon der Blechbläser. Coplands Partitur ist (auch) ein Rodeo für das Orchester, es geht ruppig zu, knallt und kracht, ein musikalisches Volksfest ohne Süßholzgeraspel und trotz eines "Saturday Night Waltz" das sportive Spektakel scharf im Visier. Tatsächlich ließ sich (fast) niemand im Orchester von bockigen Takt- und Rythmussprüngen aus dem Sattel werfen, hielt Schmid-Kapfenburg die Zügel straff, blieb in der Zeichengebung gefühlvoll, genau und relaxed und das Orchester in toller Form: Ovationen.

Westfälische Nachrichten vom 17.09.2019
Günter Moseler

Konzert vom 17.03.2019

Leere Quart provoziert Düsternis

Münster - Als bekennender Traditionalist rückte er mit seiner Musik weiter in die Moderne vor, als er selber hätte wahrhaben wollen: Johannes Brahms beherrschte das kompositorische Handwerk in absoluter Perfektion - und war zugleich experimenteller Skeptiker. Die bitter‐süße Klage einer Freundin („Es ist mir … als wäre es eine kleine Welt für die Klugen und Wissenden") trifft die Materialität der brahmschen Werke in der Herzmitte. Die Alte Philharmonie Münster unter Thorsten Schmid-Kapfenburg bot im Konzertsaal der Freien Waldorfschule nun zwei kapitale Prominente des klassischen Repertoires, beide zu gleich jeglichen populären Tonfalls unverdächtig.

Die Tragische Ouvertüre op. 81 beginnt mit zwei schmetternden Tutti-Akkorden, leere Quart und Quinte provozieren auch später seltsam hohle Düsternis, die sich später in Streichenriolen fortsetzt und in Unisono‐Passagen wie die Szenerie eines abstrakten Dramas wirkt. Das zweite, lyrische Thema, zwischen Streichern und Blech- wie Holzbläsern changierend, gelang transparent, auch wenn das getragene Tempo („Allegro ma non troppo"!) eine Spur zu sehr ins „Tragische“ tendierte und eine schier wollüstige Theatralik um sich griff.

Das Doppelkonzert a-moll op.102 scheint die Erfindung einer genialen Tüftlernatur zu sein, auch wenn Peter Bogaert (Violine) und Lucie Stepanova (Violoncello) ihre Kadenz zu Beginn des Kopfsatzes eher kulinarisch auslegten. Intuitiv wussten Dirigent und Orchester die geisterhafte Atmosphäre vor der Reprise auszutarieren, während die Solisten den motivischen Verflechtungen in verwinkelten Parallelaktionen, sportiven Hochsprüngen und Klammergriffen nachjagten. Der schlichte Tonfall aller Musiker im langsamen Mittelsatz traf präzise dessen Lied-Charakter ebenso wie er expressive Intimität nicht im Erhabenheitsmodus zelebrierte und so seiner Noblesse standhielt. Rustikal das Finale. Stürmisch bei teils akrobatischer Intonation der Stilisten, wagemutig das Orchester, halsbrecherisch die Violinfraktion - große Musik ist ohne Risiko nicht zu haben.

Von Antonin Dvoraks Sinfonie Nr.4 d-moll op.13 - ein öffentlich fast ignoriertes Meisterwerk - wurde das Orchester in einen kompakten Klangkörper verwandelt, der unter der enthusiastischen Führung des Dirigenten der uncodierten Dramatik der Musik überschwänglich folgte.

Die schroffe Wucht der Musik wurde mit gradliniger Emphase ausgespielt.

Das zweite Thema des Kopfsatzes besaß schmerzlich‐ schöne Akkuratesse, das Scherzo flog wie ein zorniger Zauberspruch vorüber, der hämmernde Drive des Finales besaß rhythmische Elastizität und konzentrierten Gesamtklang. Ovationen.

Westfälische Nachrichten vom 19.03.2019
Günter Moseler

Konzert vom 23.09.2018

Romantische Moderne trifft moderne Romantik

Münser - Die Moderne verschonte die Musik nicht. Die Feder Bachs, Mozarts und Beethovens wies stets in die Zukunft. Wie Detlev Glanert (Jahrgang 1960) in seiner Komposition „Weites Land“ die vier ersten Takte aus Brahms’ vierter Sinfonie zitiert, um in einen Schneesturm vernetzter Motive abzutauchen, wäre als Hommage wie als Rückbesinnung (ab-)hörbar: Keine Moderne ohne Tradition. Die Alte Philharmonie unter Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg eröffnete ihr Konzert in der Waldorfschule mit Glanerts Zitat-Kalender und verwies auf die programmatische Konstitution des Abends, der romantische Moderne wie moderne Romantik präsentierte.

„Weites Land“ führte in die Krisengebiete zeitgenössischer Musik, versagte sich einer radikalen Attitüde, schreckte aber vor retrospektiver Verklärung zurück. Ständig floss die Musik in andere Richtungen, kleinste Motive erinnerten an Richard Strauss, von dessen „Till“ Motivfetzen vorüberflogen, an Gustav Mahler, dessen Pizzicati- und Paukentänze aufleuchteten, oder an Jean Sibelius, dessen kreisende Violinfiguren aus „En Saga“ Pate für den Schluss standen.

Das Orchester spielte furios und mit unerschrockenem Engagement.

Nystroems „Partita“-Flötenkonzert gehört zu jener unerhörten Musik, die kaum zu hören, aber überaus hörenswert ist. Friederike Wiechert-Schüle erwies sich als souveräne Interpretin, die einen strengen Gestus mit kapriziösem Übermut, pastoraler Gesanglichkeit und rhythmischer Finesse verband. Der Kopfsatz reflektierte neoklassizistische Elemente, von der Solistin pointiert ausgespielt, während sie im „Canto semplice“ Einfachheit und Linie zugleich betonte. Das Finale verschwand durch die Pianissimo-Hintertür ohne das Fanal-Signal fetziger Schlussakkorde, und Wiecherts elastischer Ton folgte mühelos jeder Phrasierung und jedem temporeichem Abgang.

Brahms zweite Sinfonie D-Dur versteckt die Modernität ihrer Struktur hinter Wohlklang, und fast schien es, als wolle der Dirigent durch zügige Tempi den schönen Schein zugunsten analytischer Erkenntnis relativieren. Strikt im Metrum zog der Kopfsatz vorbei, ohne Gemütlichkeit beim zweiten Thema, mit Schwung in den synkopischem Passagen sowie austarierter Dialogregie zwischen Streichern und Bläsern. Zügig auch das „Adagio non troppo“ ohne pastosen Schmelz, risikofreudig das Finale – für die Moderne gibt es kein Sicherheitsnetz! Eine intuitiv große Interpretation – und Begeisterung am Schluss!

Münstersche Zeitung vom 26.09.2018
Günter Moseler

Konzert vom 22.04.2018

Jubel für ein superlatives U-Konzert

Münster - Wahre Beatles-Tumulte schienen entfesselt, kaum dass Christian Kiefer den Griffkopf seiner E-Gitarre wie in Trance sinken ließ: Die Uraufführung seines „Konzert für Münster“ in der Konzertaula der Waldorfschule ließ die Zuhörer nach dem Schlussakkord in jugendbeschwipsten Jubel ausbrechen.

Wahre Beatles-Tumulte schienen entfesselt, kaum dass Christian Kiefer den Griffkopf seiner E-Gitarre wie in Trance sinken ließ: Die Uraufführung seines „Konzert für Münster“ in der Konzertaula der Waldorfschule

ließ die Zuhörer nach dem Schlussakkord in jugendbeschwipsten Jubel ausbrechen.

Der Gitarrist hatte Thorsten Schmid-Kapfenburg drei jazzige Gitarrenkonzerte vorgeschlagen: „Aber keines von denen war sexy genug. Also schrieb ich selber eins!“ Der Dirigent sekundierte: „Wir hatten bei den Proben alle mordsmäßig Spaß!“ Das erste Halbjahreskonzert der Alten Philharmonie bot originelle Stücke – und keines im Routine-Koma gespielt.

Es begann mit Franz Schuberts Fantasie f-moll für Klavier zu vier Händen. In der opulenten Orchesterfassung von Felix Mottl (1856-1911) verwandelte sich der intim-melancholische, dramatische wie kapriziöse Charakter dieser Musik in eine Sinfonie voll theatralischer Seufzer und existenziellem Furor. Flüssige Tempi ohne narkotisierenden Tiefsinn bewirkten Geschlossenheit, die farbige Instrumentation ließ formale Entwicklungen wie motivische Zusammenhänge präzise hörbar werden. An allen Pulten herrschte solistisches Temperament und furchtlose Tapferkeit. Kantabel und zart intonierte die Soloklarinette das Hauptthema. Sinnstiftend süffig waren die Streicher, denn Mottls spätromantische Orchestrierung pointiert rigoros das Klischee vom Romantiker Schubert. Einzig die Pianissimo-Reprise im „Largo“ mit ihren exzessiven Punktionen und delirierenden Trillern schwächelte.

Unwider­stehlich das Accelerando im Finish

hier triumphierte in Schmid-Kapfenburg der intuitive Sinn romantischer Aufführungspraxis für finale Zuspitzung.

Durch Kiefers Gitarrenkonzert hausten vom ersten Takt an Echos, Halleffekte, Glissandi und Orgelpunkte: sphärische Stimmen der Elektronik. Der Dirigent taktierte die komplexen Rhythmen in Großbuchstaben, eine Schlagzeug-Armee befeuerte Dschungelklänge, eine Fußspitze Kiefers angelte nach dem am Boden liegenden Schaltkasten, Technicolor-Harmonien fluteten den langsamen Mittelsatz, im Finale klatschten die Orchestermusiker den Grundrhythmus. Ein paar Paten waren nicht zu überhören, speziell aus Lateinamerika. Egal: ein superlatives U-Konzert!

Nach elanvoll interpretiertem Manuel de Fallas „Interlude et Danze Espangnola“ markierte die „Sinfonie Sevillana“ von Joaquin Turina das konzertante Finale. Turianas „andalusischer“ Tonfall geistert mitunter zu notorisch durch seine Partituren, die „Sevillana“ scheint eher zum Touristischen der Andalusien-Metropole zu tendieren, dem Orchester fehlte es nicht an Turbulenz und Rasanz: Fabelhaft!

Westfälische Nachrichten vom 23.04.2018
Günter Moseler

Konzert vom 08.10.2017

Ovationen für eine fabelhafte Leistung

Helden leben zwischen Ungestüm und Entrückung, der Alltag reizt sie nur als Apokalypse: Auch der finnische Nationalheld „Kullervo“ ist eine Entweder-Oder-Existenz. Die Alte Philharmonie begann ihr Programm im Waldorfsaal mit der gleichnamigen Symphonischen Dichtung von Leevi Antti Madetoja.

Paukenwirbel, Blechbläser, Hörnerschall verschaffen hier dem Helden einen gepanzerten Fortissimo-Auftritt. Atemlose Unruhe verlässt das Stück nie, auf Kantilenen fallen Blechbläserattacken wie Blitze.

Das Orchester unter Jubilar-Leiter Thorsten Schmid-Kapfenburg präsentierte sich bestechend

Die Streicher demonstrierten dichten Klang, Blech- und Holzbläser bewiesen selbst in heiklen Repetitionsstrecken Präzision und Drive. Der alarmistische Furor gegen Ende wurde vom Dirigenten sorgfältig gesteigert, man hörte die Katastrophe – eine Kain-und-Abel-Saga – auf Kullervo im Taktgalopp zurasen. Vom Donnergrollen der großen Trommel über unheilvolle Aufschwünge der Violoncelli blieb die plastische Gestik der Instrumentierung hörbar, bis im finalen Pizzicato das finnische Heldenleben buchstäblich erlosch.

Prokofievs Violinkonzert Nr.1 D-Dur überrascht mit sphärischem Beginn: Maia Shamugia (zweite stellvertretende Konzertmeisterin des Sinfonieorchesters Münster) focht eine virtuose Partie mit dem Solopart, dessen apollinische Lyrik ebenso betonend wie kratzbürstigen Zugriff und artistische Rasanz. In den ersten Partiturseiten vielleicht eine Spur zu nüchtern segelte sie durch Prokofievs bittersüße Modulationen. In den motorischen Strecken des Kopfsatzes vermied sie etüdenhafte Attitüde, die folkloristische Tanzepisode besaß Schärfe und Prägnanz. Im diabolischen Scherzo klangen die Glissandi der Geige, als würde ein Messer gewetzt, im Schlusstakt war es, als springe die Musik todesmutig ins Leere. Das Finale gestaltete Shamugia schwelgerisch, zauberische Trillerkaskaden bezirzten das Sphärenthema:

Ovationen für eine fabelhafte Leistung

Die „Reformationssinfonie“ von Mendelssohn Bartholdy werde seines Wissens nach im Luther-Jubeljahr in Münster nicht aufgeführt, hatte Kapfenburg vermerkt – und bot eine Interpretation, die das Macht- und Würdevolle des zitierten „Dresdener Amens“ und des (vielleicht!) bachschen Chorals „Ein feste Burg ist unser Gott“ als zentrale Atmosphäre dem etwas eckigen Werk integrierte. Tumultuöse Passagen wurden im ersten Satz extrem ausgespielt: Die Sache der lutheranischen Bewegung war eine gefahrvolle. Straff das Scherzo, elegante Holzbläser im Trio, das Finale ein orchestraler Siegeszug. Restlose Begeisterung.

Westfälische Nachrichten vom 09.10.2017
Günter Moseler

Konzert vom 12.03.2017

Adagio mit Nietzsche

Katalane Josep Carol Überraschungsgast der Alten Philharmonie

Antonin Dvorak stand auf dem Höhepunkt seiner Karriere, als er mit 50 Jahren die Ouvertüre „In der Natur“ komponierte, die den Auftakt des ersten Jahreskonzertes der Alten Philharmonie Münster im Konzertsaal der Waldorfschule bildete. Diese in typischer Sonatenform angelegte Werk erzählt als Momentaufnahme vom stimmungsvollen Anbruch des Tages und ist durchweht von einer frühlingshaften Leichtigkeit. Vogelrufe sind zu hören, Hirtenklänge ertönen, die Natur erwacht pulsierend zu neuer Vitalität.

Danach konnte Dirigent Thorsten Schmid-Kapfenburg eine Welturaufführung ankündigen, das Adagio aus dem vierteiligen Orchesterwerk „Quan la pau retorni per les valls“ (Wenn der Frieden in die Täler zurückkehrt) des katalanischen Komponisten Josep Carol. Dieser habe trotz seiner 89 Jahre die lange Reise von Barcelona nach Münster auf sich genommen, so Schmid-Kapfenburg weiter, um dem Konzert beiwohnen zu können. Schließlich sei es schon mehr als ein halbes Jahrhundert her, dass Werke Carols aufgeführt worden seien. Dem Komponisten gehe es bei seiner Arbeit allein um den schöpferischen Akt, weniger um die Wirkung.

Sein Adagio, dem ein Zitat Nietzsches zu Grunde liegt, thematisiert ein Naturerlebnis in den Pyrenäen und knüpft damit nahtlos an Dvorak an. Im Stil eher ruhig und getragen, kann die Arbeit in der Nachfolge des französischen Impressionismus gesehen werden, ist nach Innen gewandt und von meditativem Charakter. Als der bescheiden auftretende Carol nachher auf die Bühne gerufen wird, erhält er den herzlichsten Beifall.

Weiter ging es mit Dvoraks „Zehn biblischen Liedern“, die er während seiner amerikanischen Zeit geschrieben hatte. Als Solist brillierte Opernsänger Gregor Dalal vom Theater Münster.

Beschlossen wurde der Abend mit der jugendlich-aufwühlenden Sinfonie Nr. 1 (h-Moll), die der schwedische Komponist Kurt Atterberg mit Anfang Zwanzig geschaffen und als Dirigent 1912 selbst uraufgeführt hat.

Für eine großartige Ensembleleistung gab es lang anhaltenden Beifall.

Westfälische Nachrichten vom 14.03.2017
Michael Schardt

Konzert vom 25.09.2016

Jubel für „Pseudokomödie“ und Entdeckungen

Konzert der Alten Philharmonie mit Elisabeth Fürniss

Es war ein schöner Zufall, dass mit der Sinfonie Nr. 9 das Werk eines Geburtstagskindes auf dem Programm stand. Denn ihr Schöpfer heißt Dimitrij Schostakowitsch, der just am vergangenen Sonntag 110 Jahre alt geworden wäre, als die Alte Philharmonie Münster unter Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg in der Aula der Waldorfschule ihr umjubeltes Jahreskonzert gab.

Die „Pseudokomödie“, wie der Tonsetzer seine im August 1945 entstandene, Stalin kritische Schöpfung ironisch nannte, bildete den Begeisternden Schlusspunkt eine zweieinhalbstündigen Programms und war zugleich die einzige geläufige Komposition. Zuvor wurden unbekanntere oder selten dargebotene Stücke des späten 19. Und frühen 20. Jahrhunderts gespielt.

Zu Beginn wurde mit Hans Rott ein früh Verstorbener gespielt, der Lieblingsschüler von Anton Bruckner am Wiener Konservatorium gewesen sein soll. Dessen „Pastorales Vorspiel“, das en detail an frühe Schöpfungen Gustav Mahlers erinnert, war (wie sein gesamtes Schaffen) zu Lebzeiten unaufgeführt blieben. Leise beginnend, schreitet das kurze Stück langsam weiter und steigert sich zum jubilierenden Gestus.

Es folgte das Konzert für Cello und Orchester des weitgehend vergessenen Robert Volkmann. Als Solistin zog Elisabeth Fürniss die Zuschauer in der ausverkauften Aula in ihren Bann, wobei das Stück trotz einer einprägsamen Hauptmelodie erst nach und nach eingängig wird. Viel Applaus gab es, als das Cello nach einer bewegten Schlussphase in sanften Tönen langsam verstummte.

Dann gab es – auch für den Dirigenten – eine Überraschung. Ohne Absprache mit dem Kapellmeister hatte Fürniss mit dem Orchester heimlich ein paar Zugaben eingeübt. Anton Dvoraks nur sechzig Sekunden dauerndes „Lamento“ gehörte dazu, aber auch desse „Waldesruh“. Zusammen wurden diese Stücke gespielt, so die Cellistin, weil derjenige, der laut klage (lamentiere), Chancen habe, Trost zu finden.

Später wurde mit der holländischen Rhapsodie „Piet Hein“ des Niederländers Peter van Anrooy eine weitere Wiederentdeckung vorgestellt – und eben die Neunte von Schostakowitsch.

Sehr viel Applaus.

Westfälische Nachrichten vom 27.09.2016
Michael Schardt

Konzert vom 13.03.2016

Münster - Beethoven, Brahms und ein technisch anspruchsvolles Klavierkonzert, das von einem Opernsänger bravourös bewältigt wurde – das Konzert der Alten Philharmonie im Waldorf-Konzertsaal wurde gefeiert.

Thorsten Schmid-Kapfenburg wollte seit Langem dieses Klavierkonzert dirigieren, betonte er in seiner Moderation. Es gelte als technisch anspruchsvoll: Ein Pianist habe sich beim Spiel sogar mal einen Finger gebrochen. Überhaupt gebe es nur wenige Pianisten, die es spielen können: „Und dass wir einen hauptberuflichen Opernsänger treffen, der das spielt: Das ist weltweit einzigartig!“, freute er sich.

Am Ende gab es tosenden Beifall und stehende Ovationen für den Pianisten Enrique Bernardo (tatsächlich Mitglied des Opernchors des Theater Münster), der Sergei Prokofjews zweites Klavierkonzert bravourös und

mit unglaublicher Vitalität

spielte. Die lange Kadenz zauberte er mit viel Verve aus dem Flügel, hatte Freude an Dynamik und Ausdruck und streute elegante Artikulationen in rasante, blitzsaubere Läufe. Immer ein wenig drängend lockte er aus Prokofjews Werk viel musikalisches Temperament heraus, überzog aber nie.

Die Alte Philharmonie Münster legte dem Pianisten, konzentriert und zuverlässig, einen roten Tonteppich zum Klavierspiel aus und darf einen gehörigen Anteil des riesigen Beifalls für sich verbuchen.

In der Zugabe begleite Bernardo sich selbst am Klavier und sang eine Arie.

Das ist tatsächlich rekordverdächtig!

Im voll besetzten Konzertsaal der Freien Waldorfschule zeigte sich die Alte Philharmonie überhaupt in bester Verfassung. Eine Uraufführung eröffnete die zweite Konzerthälfte. Norbert Linkes „Elegie über das Leiden der Menschen“ in der Fassung für Orchester lag auf den Pulten.

Nach der leisen, sehr ruhigen Einleitung kam ein wenig melodische Bewegung hinzu, die Dynamik wurde kräftiger. Trotzdem überwog der meditative Charakter – ruhige Musik, die dazu verleitete, die Gedanken weit schweifen zu lassen. Zu Konzertbeginn gab es (geadelt von den gut aufgelegten hohen Streichern) Ludwig van Beethovens Ouvertüre zu „Egmont“. Das Dirigat lockte großen und sauberen Klang aus dem engagierten Orchester.

Die dritte Sinfonie von Johannes Brahms beendete das Konzert: voller Streicherklang, sichere Einsätze in der Ablösungen der Bläser, exakte Akzente des Schlagzeugers. Ein wenig verlor sich der zweite Satz; doch im dritten Satz (Poco Allegretto) sang das Orchester geradezu. Temperamentvoll beendete die Alte Philharmonie die Sinfonie.

Dafür gab es ebenfalls sehr viel Applaus.

Westfälische Nachrichten vom 15.03.2016
Heike Eickhoff

Konzert vom 13.09.2015

Die Alte Philharmonie Münster feierte am Sonntag mit ihrem Herbstkonzert 25-jähriges Jubiläum. Solist des umjubelten Konzertes war der in Münster verwurzelte Jazz-Saxofonist Wolfgang Bleibel. In dem sehr gut besuchten Konzert erklangen unter der hervorragenden Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg Werke von Richard Wagner, Jörg Achim Keller und Jean Sibelius.

Das große Orchester fand in Wagners anfänglichem „Vorspiel zu ,Die Meistersinger von Nürnberg’ bald zu gewohnt sicherem Zusammenhalt. Durch und durch in klarem, zügigem Tempo dirigierte Schmid-Kapfenburg das Orchester, das nach fulminantem Beginn erst zum Ende mit Blechbläserklängen die Dynamik wieder üppig anschwellen ließ.

Es folgte ein riesiger Kon­trast. 2005 komponierte der Schweizer Jörg Achim Keller das Konzert „11 Bilder von Edvard Munch“ im Auftrag von Jazz-Saxofonist Wolfgang Bleibel. Cellistin Suse Morawietz hielt über die jeweils musikalisch porträtierten Munch-Werke zuvor einen kurzen Vortrag. Am Sonntag erklangen aus Kellers Konzert-Zyklus sieben kontrastreiche Crossoversätze. In der Tat stellt dessen durch und durch jazziger Kompositionsstil ein klassisches Sinfonieorchester vor einige Herausforderungen. Bleibel und Schmid-Kapfenburg führten hin zu grell-kreischenden Schreien aus der Natur („Der Schrei“), oder gackernden Enten („Junge Leute und Enten“), was schon ein bisschen an die Tonsprache Prokofjew in „Peter und der Wolf“ erinnerte. Dann wieder verwandelte Bleibel das Orchester in einen riesig-groovigen Klangkörper. Großartig, wie er mit Schmidt-Kapfenburg kommunizierte, der kongenial dirigierte und alle mitriss.

Das Publikum war völlig aus dem Häuschen.

Bleibel konterte die Bravorufe mit dem Richard Rogers Klassiker „He was too good to me“, ebenfalls aus der Feder Kellers für Saxofon und Orchester, als Zugabe.

Die zweite Konzerthälfte war Sibelius, dessen 150 Geburtstag in diesem Jahr ist, gewidmet. Mit dem „Andante Festivo“ und der Sinfonie Nr. 1, e-moll bewies die Alte Philharmonie beste Qualitäten und gewohnt souveräne Qualitäten in der Interpretation romantischer Musik.

Westfälische Nachrichten vom 14.09.2015
Ulrich Coppel

Konzert vom 14.09.2014

Rasender Applaus für den „Titan“ - Arthur Benjamin kennt man vor allem aus dem Thriller „Der Mann, der zu viel wusste“ von Alfred Hitchcock. Zum Schluss wird in der Royal Albert Hall in London Benjamins „Storm Cloud Cantata“ aufgeführt. Ein Beckenschlag markiert das finale Fortissimo - und ist zugleich Zeichen für den Mordanschlag auf den ausländischen Präsidenten. Die Alte Philharmonie hatte für den Congress-Saal am Sonntag ein weniger tödliches Stück erkoren: Benjamins „Romantische Fantasie“ für Violine, Viola und Orchester.

Mühelos demonstrierten Svenja Ciliberto (Viola) und Mihai Ionescu (Violine) die anspruchsvolle Artistik ihrer Parts, die kaum zu melodischen Kantilenen finden. Schellenkranz und Triangel geben Kolorit, Holzbläser die Farbe, Streicher die Kulisse - die perfekte Bühne für ein Orchester, das sich mit heroischer Verve der tückischen Partitur entgegenwarf.

Mit Ludwig van Beethovens Coriolan-Ouvertüre op. 62 hatte der Abend begonen, sie vereint alle Vorurteile über den Großmeister, die im Umlauf sind: düstere, entschlossene, heroische, schicksalhafte Musik. Dieses Postkarten-Image verweigerte Dirigent Thorsten Schmid-Kapfenburg, indem er das Stück zügig, aber ohne Titanen-Attitüde dirigierte.

„Titan“ hatte zunächst Gustav Mahler seine Sinfonie Nr. 1 D-Dur getauft, den Namen zog er später wieder zurück. Mahlers Erstling zählt dennoch zu den spektakulären Spezialfällen des Repertoires, eine Welt-Sinfonie. Selten dürfte die prominente Rolle der Hörner grandioser in Szene gesetzt worden sein als in dieser Aufführung. Glanz und Attacke wirkten beispiellos präsent und naturhaft, als beschützten sie den heiligen Text dieser neuen Musik.

Das Orchester wuchs über sich hinaus

die Violinen artikulierten empfindsame Portamenti, die Piccoloflöte intonierte den bedeutendsten Tinnitus der Musikgeschichte, Blechbläser lieferten neutestamentarische Fanfaren. Rasender Applaus für ein ungeheures Ereignis.

Münstersche Zeitung vom 16.09.2014
Günter Moseler

Konzert vom 16.03.2014

Münster - Das hört man nicht alle Tage – und zwar in doppeltem Sinn: Beim Konzert der Alten Philharmonie im Konzertsaal der Waldorfschule wurde selten bis sehr selten Gespieltes absolut hochklassig präsentiert. Mit Respighi, Strauss und Schostakowitsch wurden Schlaglichter auf die musikalische Landschaft im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gesetzt, denen vor allem eins gemeinsam ist:

eine hochvirtuose, meisterhafte Behandlung des Orchesters.

Gleich zu Beginn gelang das dem Orchester mit Respighis „Ballata delle Gnomidi“ unter Thorsten Schmid-Kapfenburgs umsichtiger Leitung fabelhaft. Die Ballade, die dem Stück zugrunde liegt, ist ziemlich verstörend: Zwei weibliche Gnome zerren einen männlichen in ein abgedunkeltes Schlafzimmer, um ihn in einer Art sexuellem Ritual schließlich zu töten.

Ein spitzer Schrei lässt andere draußen wartende Gnome verstummen. Der blutüberströmte Körper wird von den beiden am Abend unter Flüchen die Klippe hinuntergeworfen, ein ekstatischer Tanz gleich einem Hexensabbat folgt. Vielleicht lag es daran, dass das Werk zunächst wenig erfolgreich war. Musikalisch ist es höchst effektvoll, was das Orchester ausdrucksstark und differenziert zelebrierte.

Für Richard Strauss’ „Vier letzte Lieder“ kündigte Schmid-Kapfenburg die Solistin Katarzyna Grabosz wegen eines Infekts stimmlich angeschlagen an, was ihr allerdings nur in den tieferen Lagen ein wenig anzumerken war. Ansonsten sang sie Strauss’ weite melodische Bögen, die von Abschied und Todesahnung handeln, mit berührender Innigkeit und warmem Timbre. Zu Recht erntete sie dafür stürmischen Beifall.

Den Abschluss bildete Schostakowitschs 5. Sinfonie d-Moll, in der Schmid-Kapfenburg vor allem im vierten Satz den vor Ironie triefenden D-Dur-Jubel gekonnt herausarbeitete. Da musste man frei nach dem Komponisten wirklich ein Trottel sein, die musikalische Linientreue unter Stalin mit zackigen Marschrhythmen und bombastischem Finale nicht als verordnet und aufgezwungen zu erkennen. Das erfreulich zahlreiche Publikum durchblickte das mit minutenlangem Beifall.

Westfälische Nachrichten vom 17.03.2014
Frederik Wittenberg

Konzert vom 13.10.2013

Münster - „Mal was anderes“, kommentierte Dirigent Thorsten Schmid-Kapfenburg mit Understatement den Anblick des XXL-Instruments zu seiner Linken. Ein Alphorn spielte beim jüngsten Konzert der Alten Philharmonie Münster eine zentrale Rolle.

„Die originellsten Sinfoniekonzerte erlebt man bei Münsters Laienorchestern“ – wer diesen Gedanken bislang nie im Kopf hatte, dachte ihn vielleicht am Sonntag in der Waldorfschule, als das Solo-Instrument des Abends durch die Sitzreihen gewuchtet wurde: ein Alphorn. Was ursprünglich zwischen Weide und Kuhglocken seinen Stammplatz hatte, erhielt spätestens 1970 symphonische Weihen: Jean Daetwylers Konzert für Alphorn und Orchester; es war Michael Koch, Solo-Hornist beim Sinfonieorchester Münster, der hier seine Alphorn-Premiere gab. Marathon-Applaus!

„Mal was anderes“, kommentierte Dirigent Thorsten Schmid-Kapfenburg mit Understatement den Anblick des XXL-Instruments zu seiner Linken. Erster Satz: Ein „Betruf“, der (angeblich) den einsamen Schafhirten auf der Alp vor bösen Geistern bewahren soll. Und Michael Kochs mächtiger Ansatz und langer Atem evozierten im Waldorf-Saal tatsächlich die Weite und Einsamkeit einer Alpenlandschaft.

Das Konzert kommt großteils im Gewand der – 1970 wahrlich verpönten – Spätromantik daher. Mysteriöse Tremoli, idyllisches Englischhorn, effektvolle Orchestrierung mit keckem Schlagzeug: Das Werk gibt keine Rätsel auf und kommt beim Publikum toll an.

Eigentlich hätte im Anschluss Brahms’ Erste gut gepasst, bezieht sich deren Hornsolo im Finale doch ebenfalls aufs Alphorn. Doch die Alte Philharmonie hatte die vierte Brahms-Sinfonie gewählt – und spielte sie begeisternd. Der Dirigent entschied sich für flüssige Tempi und lotete das Werk auch emotional aus. Allein die Wehmut und Melancholie des Andantes hätten das Konzert gelohnt (Danke, Cello-Gruppe!). Mochte es im Blech auch mal klappern –

die Leistung des Orchesters beeindruckte bis zum zornig-dramatischen Finale.

Der erste Komponist des Abends, Jean Sibelius, inspirierte den Dirigenten zur gut gelaunten Moderation; zu musikphilosophischen Zitaten über die Stille als „Leinwand des Musikers“. Sibelius’ nur fünfminütige „Dryade“ ist ein Natur-Spuk über weibliche Baumgeister. Und seine berühmte „Valse triste“ erklang schier vorbildhaft.

Westfälische Nachrichten vom 14.10.2013
Arndt Zinkant

Konzert vom 14.04.2013

Zwei groß besetzte Werke vor ausverkauftem Haus: Mit Dvoráks berühmtem Cellokonzert und der zweiten Sinfonie von Sergej Rachmaninow feierte die Alte Philharmonie Münster am Sonntagabend im Waldorf-Konzertsaal ein Klangfarbenfest. Holz- und Blechbläser, Streicher, Schlagzeug – die Musiker unter der Leitung von Dirigent Thorsten Schmid-Kapfenburg spielten fantastisch zusammen.

Cellistin Lucie Stepanova verknüpfte in Antonin Dvoraks Cellokonzert h-moll Klang mit Virtuosität. Das charakteristische Eingangsthema im ersten Satz zeigte schon zu Beginn, dass hier auch das Orchester mehr als nur ein paar Akkorde zur Begleitung liefert. Die junge Solistin ließ den Dialog gerne zu, gab Impulse und schwelgte. Besonders eindrücklich gelang der zweite Satz, der eine geradezu majestätische Ruhe ausstrahlte und so eine besondere Atmosphäre in den Saal zauberte. Auch im munteren Finalsatz zeigten sich Orchester und Solistin bestens aufeinander eingespielt.

Mit ähnlicher Akribie und Wärme ging das Orchester in der Sinfonie Nr. 2 e-moll von Sergej Rachmaninow zu Werke. Vom großen Tutti bis ins kleinste solistische Detail überzeugend, wurde die kompositorische Dichte des groß besetzten Werks schnell deutlich. Ein wunderschönes Klarinettensolo im dritten Satz, gut aufgelegte Hörner,

ein Traum von einem Streicherklang – ein richtiger Hörgenuss

Ob die romantische Sinfonie die „letzte Schranke zwischen der Wahrheit und ihrer Formulierung“ überwunden hat, wie Rachmaninow es sich für seine Kompositionen wünschte? Gut möglich. Die Herzen der Zuhörer hat diese Musik auf jeden Fall erreicht, wie der begeisterte minutenlange Applaus gezeigt hat.

Für das nächste Programm mit der vierten Sinfonie von Johannes Brahms sind neue Mitspieler in der Alten Philharmonie willkommen, vor allem Streicher und Fagotte.

Westfälische Nachrichten vom 15.04.2013
Brigitte Heeke

Konzert vom 18.03.2012

Donnerschlag - wer hätte mit einem solchen Violinkonzert gerechnet! Maia Shamugia überraschte schon in den ersten paar Takten, die Jean Sibelius ihr in seinem Opus 47 abverlangt: groß der Geigenton, raumgreifend und von schwerer, dunkler Farbe.

Was dann bis zum Schluss des dritten Satzes passierte, war schlichtweg umwerfend.

Kein Moment, der daran erinnert hätte, dass Sibelius es seinen Interpreten höllisch schwer macht. Shamugia nahm alle Herausforderungen mit einer verblüffenden Grandezza, jubelte durch die irre schnellen Läufe, bewältigte Doppelgriffe wie ein Kinderspiel – toll!

Seit drei Jahren ist Maia Shamugia zweite stellvertretende Konzertmeisterin des Sinfonieorchesters Münster. Im Konzertsaal der Waldorfschule nun spielte sie zusammen mit der Alten Philharmonie unter Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg. Im schönsten Miteinander. Denn die Geigerin aus dem georgischen Tbilissi ist nicht nur technisch hoch virtuos sondern lotet Sibelius zusammen mit dem Orchester vor allem auch auf seinen emotionalen Gehalt hin aus. Temperament hat sie im Übermaß, da durfte es auch schon mal krachen, warum nicht. Wenn dann die Musik ihre zarten, leicht sentimentalen Seiten zeigte, ließ Shamugia ihr Instrument wie mit einem kleinen Tränchen im Auge singen. Ein wenig diabolisch blinzelte ihr Finalsatz, lupenrein darin die Flageoletts. Das Publikum überschlug sich vor Begeisterung, dafür gab es Bach als Zugabe. Auch die Alte Philharmonie hat einen dicken Lorbeerkranz verdient. Für Erich Wolfgang Korngolds „Thema und Variationen“ op. 42 zum Beispiel. Die wirkten so, als sei der Komponist ein direkter Nachfahre von Max Reger gewesen. Edvard Griegs „Huldigungsmarsch“ mit schnarrender Trommel, schwerem Blech und feierlichem Duktus lieferte das Präludium zu Griegs ausgedehnter c-Moll-Sinfonie: das Werk des 20-jährigen Meisters. Auch hier zeigten sich die engagierten und ausnehmend hoch motivierten Orchestermusikerinnen und -musiker von ihrer besten Seite. Thorsten Schmid-Kapfenburg entwickelte einen satten, strahlenden Klang mit charakteristischen Farben. Und wieder gab es einen Riesenapplaus – voll und ganz verdient.

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Westfälische Nachrichten vom 20.03.2012
Chr. Schulte im Walde

Konzert vom 21.10.2011

Pianist Gabriele Cervone und die Alte Philharmonie im Waldorf-Konzertsaal Münster – „Echte Kunst ist eigensinnig“ sagte Beethoven einst, und seinem großartigen Klavierkonzert Nr.5 hört man es ein wenig an. Denn sonst hätte der Meister dem Pianisten nicht diese wunderbare, freche Eröffnung geschrieben – viele Takte ohne Orchester. Das kommt, nur mit ein paar Akkordblöcken, sparsam dosiert dazu.

Die Alte Philharmonie unter Thorsten Schmid-Kapfenburg gewann für diesen Solopart den Pianisten Gabriele Cervone. Der Pianist und Musikwissenschaftler ging beim Konzert elegant an seine Stimme heran. Das Orchester begleitete mit großer Spielfreude. Nach diesem Meilenstein führte der Komponist Norbert Linke persönlich in seine musikalische Skizze „Erinnerung an Czernowitz“ ein. Gefühlvoll, mit wiederkehrender, eingängiger Melodik und ein paar Glockenspieltönen dargeboten, erinnerte das hübsche Werk an Filmmusik. Einsame Seen im Herbstnebel tauchten vor dem geistigen Auge auf. Nach der Pause ging es nach Finnland mit „Suomalainen myytti“ von Einojuhani Rautavaara. Die Streicher bauten, beginnend mit den Kontrabässen, einen interessanten Klangteppich auf. Ein paar Glissandi, ein bisschen harmonische Neutönigkeit sorgten dafür, dass es nicht allzu lieblich wurde. Am Ende dann das Hauptwerk: Dvoraks fünfte Sinfonie.

Großer Sound liegt dem Orchester

und die mit viel Schmelz singenden Violoncelli zu Beginn des zweiten Satzes gefielen den Zuhörern. Leider waren aber so einige Plätze im Zuschauerraum nicht besetzt.

Westfälische Nachrichten vom

Konzert vom 21.03.2010

Spitzenleistung trotz Stromausfall

Das große Musik über jedes Dunkel triumphie­ren kann, hätte die Alte Phil­harmonie nicht grandioser unter Beweis stellen können als in ihrem von zeitweiliger Düsternis behelligten Kon­zertkrimi in der Waldorfschu­le. Jenseits menschlichen Er­messens flogen alle Sicherun­gen raus und tauchten den Saal in märchenhafte Finster­nis. Oboist Wolfgang Bern­hardt modulierte dennoch üppig-elegische Töne in Keith Jarretts Adagio für Oboe und Streichorchester und hielt erst in restloser Dunkelheit inne.

So abenteuerlich die Licht­kapriolen, so abenteuerlich auch Friedrich Guldas Cello­konzert. Hier rennen die In­strumente durch die Stile wie auf einem Jahrmarkt. Der So­list Olaf Nießing ließ den Bo­gen schroff sausen, bevor das Orchester im Big-Band-Sound losplätscherte, von heftigen Bläsereinsätzen torpediert. Dann verabreichten Klarinet­ten und Flöten der Musik ländliche Zwischentöne. Der zweite Satz „Idylle" schickte programmgemäß Hörnerschall und Jagdintervalle durch die Partitur. Dann un­ternahm das Cello einen Waldspaziergang, „Guter Mond du gehst so stille" schien durch die Partitur, während Fagotte und Oboen ein paar seltsame Räuze imi­tierten. Manchmal erinnerte sich das Cello seiner Jazz- Vorlieben und adeligen Ver­gangenheit. Im Finale rausch­te Rrawall, im Orchester übernahmen Melodien aus zweiter und dritter Hand das Kommando. Hinreißend montierte Musikgeschichte im Zeitraffer.

Tschechisches Amerika

In Antonin Dvoraks Sinfonie Nr. 9 e-Moll „Aus der neuen Welt" weht tschechische Luft durch Amerika. Auch hier bieten diverse Takte Musik zum Mitsummen feil. Das Or­chester unter Thorsten Schmid-Kapfenburg setzte präzise Akzente, hielt klang­schöne Balance mit rasant­energischen Streichern. Die Signalrufe der Hörner, die folkloristisch-indianischen Motive des langsamen Sat­zes, das Scherzo, dessen Pau­kenmotive mit sprödem Elan hingedonnert wurden, der pathetisch hochfahrende Gestus des weitherzigen Fi­nalthemas - das Orchester spielte sie mit sattem Klang und strikter Artikulation. Ein tolles Konzert. Licht aus!

Münstersche Zeitung vom 23.03.2010
Günter Moseler

Konzert vom 04.10.2009

Romantik in großer Besetzung

Münster – Russische Komponisten sind eine Spezialität der „Alten Philharmonie Münster“. Das stellten die Musiker am Sonntagabend im Waldorf-Konzertsaal in Gievenbeck erneut unter Beweis. Unter der Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg brillierte das Orchester in großer Besetzung mit Werken von Anatoli Ljadow, Alexander Borodin und Sergej Rachmaninow.

Mit dem Pianisten Edgar Wild bildete Rachmaninows zweites Klavierkonzert das Herz des Abends. Volle Akkorde, virtuose Läufe – der Solist schwelgte gemeinsam mit dem ebenfalls hervorragend aufgelegten Orchester in einem romantischen Klangideal. Dafür ernteten Solist und Orchester herzlichen Applaus und Bravo-Rufe. Zwar gefiel auch die vorangegangene „Kikimora“, eine sinfonische Dichtung von Anatoli Ljadow, die sich manchmal wie eine entfernte Verwandte von Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ anhörte. Die „Alten Philharmoniker“ spielten den kecken Poltergeist feinsinnig und gut, mit einem schönen Aha-Effekt am Ende. Aber zum Klavierkonzert, den Polowetzer Tänzen von Borodin und zu Rachmaninowa „Toteninsel“ schien das Orchester erst so richtig aufzutauen.

Der Chemie-Professor Borodin soll die Musik als „Zeitvertreib“ angesehen haben, „als eine Erholung von ernsteren Beschäftigungen“. Seiner Oper „Fürst Igor“ verdankt die Musikwelt die beliebten Polowetzer Tänze, Vor allem die Schlagzeuger und Bläser der Alten Philharmonie zeigten hier Temperament.

Von Arnold Böcklins „Toteninsel“ kannte Sergej Rachmaninow glücklicherweise neu eine Schwarz-Weiß-Radierung, bevor er eine Tondichtung über das Gemälde schrieb. Zum einen hätte ihn dessen Farbversion nach eigenen Aussagen gar nicht erst zu einer Komüosition bewegt. Zum anderen gibt seine Vertonung nun den Orchestern die Gelegenheit, das Schwarz-Weiß mit Klangfarben zu illustrieren.

Da läßt sich die „Alte Philharmonie“ nicht lange bitten. Trotz herrlich düsterer, tiefer Holzbläsersätze und anderer Mittel, die typischerweise in der Musik auftauchen, wenn es um das Totenreich geht, schien in ihrer Interpretation fast das ursprüngliche Anliegen des Künstlers zu überwiegen, nämlich „ein Bild zum Träumen, zum Nachdenken“ zu malen.

Westfälische Nachrichten vom 05.10.2009
Brigitte Heeke

Konzert vom 13.04.2008

Musik im Winterpelz

Alle reden von Aufbruch - Detlev Glanert komponierte ihn. Den „Auf­bruch für Orchester“ des 1960 geborenen Komponisten hatte die Alte Philharmonie an den Beginn ihres Konzerts gesetzt - und sah damit absolut nicht „alt“ aus. Das Stück begeis­terte mit spannenden Klange­ruptionen, wo andere Neutö­ner sich in verkopftem For­malismus verlieren. Im selben Geiste war auch das Schlag­zeug-Konzert (1958) von An­dré Jolivet komponiert, das Percussionist Ralf Bachmann mit so viel Schmackes über die Rampe brachte, dass sein Publikum ihn mit „standesge­mäßem“ Fußtrommeln feierte. Die derart elektrisierten Oh­ren beträufelte Maestro Thors­ten Schmid-Kapfenburg am Ende mit Tschaikowsky-Bal­sam; ein Programm, in dem die Alte Philharmonie wieder einmal vernachlässigte Perlen ins verdiente Rampenlicht holte.

Klangästheten mussten das eine oder andere Wermut­ströpfchen schlucken: Nicht nur dass Jolivet wie auch Tschaikowsky mehr Raffines­se in ihre Partituren gestrickt hatten, als speziell die Vio­linen hervorzauberten — das Orchester hatte auch „aus or­ganisatorischen Gründen“ sei­ne Heimstatt, den Waldorf­ Konzertsaal, verlassen. Und in der engeren Aula des Stein-, Gymnasiums konnten sich weder französischer Klangcocktail noch russische Strei­chermelancholie voll entfal­ten.</p>

Ralf Bachmann hat den Arm, alle Bedenken wegzufe­gen: Mit rasiertem Schädel und hochgekrempelten Är­meln bedient er wie unter Strom sein Schlagzeug-Sam­melsurium. Einer, für den Rhythmus Chefsache ist und der auch mal hinlangt wie Rocky Balboa. Vor allem im Kopfsatz des moderat moder­nen Jolivet-Konzerts, wo die Pauken sich mit schwerem or­chestralem Geschütz martia­lisch zu Wort melden. Das Xylofon klackert im Scherzo grotesk-ironisch vorüber. Den langsamen Satz spielt der So­list an der Rampe, spaziert mit Vibrafon und Becken wie auf Katzenpfötchen durch die­se „wehmütige“ Musik. Tschaikowskys „Winterträumen“, seiner ersten Sym­phonie, kann man sich im Konzert allzu selten hingeben. Keine leichte Aufgabe für Schmid-Kapfenburg: Wo rus­sische Seele sich im Oberflächenglanz verbirgt und Elfen­zauber unter Eiszapfen fun­kelt, braucht‘s mehr Raffinesse als etwa bei Haydn oder frühem Schubert. Das gelingt in den Binnensätzen stim­mungsvoll. Im Kopfsatz agie­ren die Streicher zu steif, um eine Schneelandschaft vors Ohr zu zaubern. Auch dem Finale hätte wohl der „Punch“ gefehlt — wäre da nicht wieder Ralf Bachmann zur Stelle gewesen, der mächtig auf Pauke haute.

Westfälische Nachrichten vom 15.04.2008
Arndt Zinkant